TWENTYSOMETHING – EIN PROSIT AUF MICH ODER WARUM ZEIT FÜR MICH ALLEIN WICHTIG IST

Dienstagmorgen, 07:00 Uhr – mein Handywecker gibt die ersten Laute von sich. Ich, hundemüde und noch halb in meiner Traumwelt, springe erschrocken aus dem Bett, hechte zu meiner Kommode, reiße mein Handy aus der Ladestation und drücke schnell auf „Schlummern“ – Hauptsache, dieses ohrenbetäubende Geräusch hört endlich auf!

Mit dem Handy in der Hand schlürfe ich wieder Richtung Bett, noch ein paar Minuten ins Kissen kuscheln, noch ein bisschen Zeit für mich genießen, schauen, was bei Instagram so los ist und erstmal richtig wach werden. Meine Augen fallen sofort wieder zu, mein Wecker klingelt erneut. Genervt schlage ich die Augen auf, drücke automatisch auf „Schlummern“.

Alt tag

07:30 Uhr. Waaaaas? Wie kann das sein, ich habe doch nur noch mal eben fünf Minuten die Augen geschlossen. Wie von der Tarantel gestochen, renne ich ins Badezimmer; mehr als eine High-Speed-Dusche inklusive Zähneputzen ist nicht drin. Während ich mir die Haare zum Dutt knote und wie verrückt meine Jeans suche, ärgere ich mich wieder einmal schwarz über mich selbst. Wäre ich doch gestern einfach nach einem Cocktail nach Hause gegangen, so wie ich es mir vorgenommen hatte … aber neeeein, wir Mädels haben uns viel zu lange nicht gesehen und ich bin ja schließlich noch jung, da kann man auch mal ein paar Stündchen weniger schlafen.

Leicht gesagt, wenn es egal ist, ob man um 10:00 Uhr oder erst um 12:00 Uhr zur Vorlesung erscheint, oder der Arbeitsalltag erst zur Mittagszeit beginnt. Bei meinem 10-Stunden-pro-Tag-Agentur-Job sieht die Sache da doch etwas anders aus…Aber was soll‘s, ich bin ja noch jung, das Leben besteht nicht nur aus Arbeit und außerdem bin ich sicher nicht die Einzige auf der Welt, der es so geht.

12.30 Uhr, Mittagspause – endlich! Ich schnappe mir meine Lederjacke und setze mir die Sonnenbrille auf. Auf dem Weg zur Salatbar um die Ecke hole ich mir eben einen Kaffee – Koffein, yay! – und gehe meine WhatsApp-Nachrichten durch.

In der Pause einfach mal abschalten und nur für mich sein? Fehlanzeige! Eine Erinnerung von meiner Mutter: „Schatz, denk bitte an unser Treffen heute Abend. Bin um 18:30 Uhr da. Kuss.“ Ach ja, der Geburtstagseinkauf für meine Nichte. Wie konnte ich das nur vergessen. Schnell tippe ich eine Nachricht an meinen Freund: „Wird heute Abend etwas später, bin noch mit meiner Mutter verabredet. Sorry. Iss du dann ruhig schon mal. Bis später.“

Der Kaffee tut gut, aber mein Magen erinnert mich daran, dass auch etwas zu essen nicht schlecht wäre. Im Vorbeigehen betrachte ich mich im Fenster. Ohje, nicht nur, dass meine Haut mal wieder eine Maske vertragen könnte, ist das etwa ein kleiner Bauchansatz?! Jap, ein bisschen Sport würde mir gut tun. Aber ernsthaft: Ins Fitnessstudio gehen? Wann soll ich das noch machen? Bedröppelt nehme ich mir vor, mich in Zukunft mal wieder etwas mehr, um mich selbst zu kümmern. Leichter gesagt, als getan.

20:30 Uhr – ich schleppe mich die letzten Treppenstufen hoch. Mit einem schlechten Gewissen, leicht genervt und völlig am Ende von diesem vollgepackten Tag – meine Augen sind mittlerweile nur noch Schlitze und meine Füße fühlen sich an, als hätte ich die letzte Nacht durchgetanzt – schaue ich auf meine Uhr. Noch zwei Stündchen, dann kann ich schon wieder ins Bett gehen. Na prima, da hatten mein Freund und ich ja wieder viel voneinander.

In der Küche ist Licht an, mein Freund sitzt am Tisch. Die leeren Teller zur Seite geschoben, schaut er seelenruhig ein Fußballspiel auf dem iPad. Der Mülleimer quillt über, ich merke wie Wut in mir hochsteigt. Er lächelt mich an und fragt mich, wie mein Tag war. Völlig erschöpft lasse ich mich auf den Platz neben ihm fallen und heule. Einfach so lasse ich alles raus. Mein Freund ist mucksmäuschenstill, legt den Arm um mich und schaut mich mit Knopfaugen an. Es tut so gut, einfach mal los zu lassen!

Alt tag

Mein Handy vibriert – eine WhatsApp-Nachricht von meiner Arbeitskollegin Sabrina: „Also steht unser After-Work-Treffen morgen? Ich freue mich schon so, dann kann ich dir endlich mal alles in Ruhe über Mike erzählen!“ Ich seufze und mir schießen erneut Tränen in die Augen, warum genau, weiß ich gar nicht so recht. Mein Freund schaut mir über die Schulter, drückt aufmunternd meinen Arm und nimmt mir das Handy aus der Hand. „Sorry – morgen ist bei mir ganz schlecht, da brauche ich mal etwas Zeit für mich. Ein andermal gern, ich melde mich.“ Das hat er jetzt nicht geschrieben, oder?? Doch hat er! „Ich lass dir mal ein Bad ein, im Kühlschrank steht noch Hugo, ich glaub ein Gläschen hast du dir verdient.“ Augenzwinkernd verschwindet er im Badezimmer.

Und war es so schlimm? Nein, ehrlich gesagt ist es erleichternd. Er hat Recht, ich brauche auch mal Zeit für mich.

21:00 Uhr – ich liege Hugo schlürfend in der Wanne. Entspannt höre ich Ellie Goldings Stimme zu und bin glücklich. Ja, wirklich. Und schwups, da ist es wieder: Mein Handy. Es vibriert aggressiv vor sich hin. Ohne auf das Display zu schauen mache ich es aus: Jetzt habe ich keine Zeit! Ich lächele, das tut so richtig gut. Und morgen mache ich mal eine Stunde früher Feierabend. Dann genieße ich den ganzen Abend entspannt auf der Couch mit den Gilmore-Girls und öffne höchstens meinem Lieblings-Thailänder die Türe. Zufrieden und entspannt döse ich vor mich hin – wieso hab ich das nur so lange nicht gemacht?!